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Die Frage, ob die Wohngebäudeversicherung für die Unterbringung in einem gemieteten Wohnmobil aufkommt, beschäftigte das Oberlandesgericht (OLG) Köln.

Nach der Jahrhundertflut im Ahrtal wurde das Gebäude einer Familie unbewohnbar. Da die Sanierungsarbeiten länger als erwartet dauerten, entschied sich die Familie im Dezember 2021 dazu, ein Wohnmobil zu mieten, um während der Sanierung mit ihrem etwa einjährigen Kind und einem Hund darin zu leben.

Die Familie verlangte daraufhin die Erstattung der Mietkosten in Höhe von 86.400 € von ihrem Wohngebäudeversicherer. Dieser weigerte sich jedoch, die Kosten zu übernehmen, mit der Begründung, dass die Anmietung eines Wohnmobils primär der Reisemöglichkeit diene und nicht nachgewiesen sei, dass das Haus nicht nutzbar war.

Das OLG Köln sah dies anders (I-9 U 46/23). Es betonte, dass auch bei einem gemieteten Wohnmobil der vorrangige Zweck darin bestehe, dass wechselnde Gäste darin für eine begrenzte Zeit wohnen könnten, sei es aus beruflichen Gründen oder zu touristischen Zwecken. Die Möglichkeit zu Reisen sei für die Auslegung der Versicherungsbedingungen irrelevant. Daher sei die Anmietung eines Wohnmobils mit der Unterbringung in einem Hotel, einer Pension oder einer Ferienwohnung vergleichbar.

Das Gericht urteilte, dass es nicht zumutbar war, in dem von Schimmel befallenen Haus mit einem Kleinkind zu wohnen, in dem zeitweise auch kein Strom und Wasser vorhanden waren. Daher sei auch die Anmietung eines Wohnmobils als einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung anzusehen.

Der Wohngebäudeversicherer wurde zur Zahlung der Mietkosten in Höhe von 86.400 € verurteilt.

Wer auffährt, hat (meistens) Schuld. Das musste auch ein 14-jähriger Fahrradfahrer lernen, der mit einem vorausfahrenden Auto zusammenstieß.

Im Mai 2022 ereignete sich vor einer Schule in Itzehoe ein Auffahrunfall zwischen einem Autofahrer und einem Fahrradfahrer, welcher nun vor Gericht verhandelt wurde. Der Autofahrer, der mit weniger als 20 km/h unterwegs war, bremste vor einer Einmündung ab, als der 14-jährige Beklagte mit seinem Fahrrad auf das Auto auffuhr. Das Amtsgericht Itzehoe hat nun der Klage des Autofahrers überwiegend stattgegeben.

Der Autofahrer konnte einen Sachschaden von 2.000 Euro nachweisen, der durch den Zusammenstoß entstanden war. Dieser Betrag wurde durch ein Sachverständigengutachten ermittelt, welches das Schadensbild als kompatibel mit dem Aufprall des Fahrrads des Beklagten identifizierte. Nach Abzug eines Vorschadens und der nicht erforderlichen Reparaturkosten blieben etwa 2.000 Euro als Schadenssumme übrig.

Das Gericht urteilte, dass der Beklagte allein für den Unfall verantwortlich war, da er gegen § 4 Abs. 1 StVO verstoßen hatte, der einen ausreichenden Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug vorschreibt. Das räumte der Radfahrer selbst ein. Dass der Autofahrer hingegen grundlos bremste, konnte der Radfahrer nicht belegen. Das Gericht entschied, dass der Autofahrer nicht die allgemeine Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zu verantworten hatte, da der Sicherheitsabstand grob unterschritten wurde.

Die Klage hatte daher nahezu vollumfänglich Erfolg, und das Urteil vom 09.02.2024 ist rechtskräftig (Aktenzeichen: 91 C 1116/23).

Das Landgericht Berlin bestätigte in einem Urteil vom 18.08.2021 (LG Berlin, 23 O 180/18), dass Berufsunfähigkeitsversicherer nicht generell verlangen können, dass Versicherte ihre Ärzte von der Schweigepflicht entbinden, um Leistungsfälle zu überprüfen.

In einem konkreten Fall hatte ein Kfz-Werkstattbesitzer 2003 eine solche Versicherung abgeschlossen. Nach einer schweren psychischen Erkrankung im Jahr 2016 stellte er Leistungsantrag, unterstützt von mehreren psychiatrischen Gutachten. Dennoch forderte der Versicherer zusätzliche Informationen und verlangte eine pauschale Schweigepflichtentbindung.

Pauschale Forderungen nach Schweigepflichtentbindung sind rechtswidrig

Das Gericht urteilte, dass der Versicherer bereits mit den vorliegenden Gutachten den Leistungsfall hätte prüfen können. Die pauschale Forderung nach Schweigepflichtentbindung sei rechtswidrig, da der Versicherer nicht darlegen konnte, warum dies erforderlich sei. Eine wirksame Einwilligung des Versicherten fehlte.

Das Urteil betont das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und fordert einen Dialog zwischen Versicherten und Versicherern über erforderliche Daten zur Leistungsprüfung. Eine pauschale Schweigepflichtentbindung könnte sensibelste Daten ohne angemessene Kontrolle preisgeben und steht somit im Konflikt mit Datenschutz und Selbstbestimmungsrecht.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat kürzlich Fragen zur Auskunftspflicht einer privaten Krankenversicherung (PKV) bezüglich zurückliegender Beitragsanpassungen (BAP) geklärt.

Ein Versicherter wollte überprüfen, ob die vergangenen Beitragsanpassungen seiner PKV rechtmäßig waren, und stellte seiner Versicherung einen Antrag auf:

  • Auskunft über sämtliche Beitragserhöhungen in den Jahren 2013 bis 2016, inklusive entsprechender Unterlagen.
  • Informationen über die Höhe der Beitragserhöhungen unter Angabe der jeweiligen Tarife.
  • Die ihm zugesandten Schreiben mit den Begründungen, Nachträgen zum Versicherungsschein und den Beiblättern.

Der Versicherte reichte diesen Antrag als Teil einer sogenannten Stufenklage ein, in der er unter anderem die Feststellung der Unwirksamkeit bestimmter Erhöhungen und die Zahlung eines noch festzulegenden Betrags beantragte.
Die Versicherung widersetzte sich dem und hatte in den vorherigen Instanzen teilweise Erfolg.

Der BGH zum Thema Auskunftsklage

Der BGH entschied, dass das Rechtsschutzbegehren in Form einer Stufenklage gemäß § 254 der Zivilprozessordnung unzulässig sei, da es dem Versicherten nicht darum gehe, einen Anspruch zu quantifizieren, sondern vielmehr darum, festzustellen, ob überhaupt ein Anspruch bestehe.
Dennoch sei die Auskunftsklage an sich zulässig, so der BGH. Der Antrag auf Auskunft könne in eine separate Klage umgewandelt werden, die von der Stufung unabhängig ist. Die Richter betonten ebenfalls, dass ein berechtigtes Interesse an der geforderten Auskunft bestehe, da diese benötigt werde, um die Rechtmäßigkeit früherer Beitragserhöhungen zu prüfen und festzustellen, ob der Versicherte Anspruch auf Rückerstattung hat.

Auskunft aus Treu und Glauben begründet

Im Urteil (IV ZR 177/22) wird erklärt, dass ein Versicherungsnehmer unter bestimmten Voraussetzungen aus Treu und Glauben einen Anspruch auf Auskunft über zurückliegende Beitragsanpassungen haben kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Versicherte nicht mehr im Besitz der relevanten Unterlagen ist und die benötigten Informationen nicht auf zumutbare Weise beschaffen kann. Der BGH betont jedoch, dass der Versicherte darlegen und beweisen muss, warum er über sein Recht im Unklaren ist, unter Berücksichtigung der Gründe für den Verlust der Unterlagen.
Allerdings kann ein Auskunftsanspruch im Allgemeinen nicht aus Artikel 15 Absatz 1 und 3 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) abgeleitet werden. Ein Anspruch auf eine vollständige Kopie der Begründungsschreiben einschließlich der Anlagen ergibt sich nicht aus Artikel 15 Absatz 1 DSGVO, da weder die Schreiben selbst noch die begleitenden Anlagen in ihrer Gesamtheit personenbezogene Daten des Versicherungsnehmers darstellen, wie der BGH betont.
Nun muss das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main in einem erneuten Verfahren prüfen, ob alle Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben erfüllt sind.

Das Bundessozialgericht hat in einem wegweisenden Urteil entschieden, dass psychische Erkrankungen unter bestimmten Voraussetzungen als Berufskrankheit anerkannt werden können. In einem konkreten Fall ging es um einen Rettungssanitäter, der an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leidet.

Psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen sind heute eine der häufigsten Ursachen für Berufsunfähigkeit und führen zu erheblichen Arbeitsausfällen. Insbesondere Berufsgruppen wie Rettungssanitäter, Feuerwehrleute, Polizisten und Soldaten sind einem höheren Risiko ausgesetzt, traumatische Ereignisse zu erleben, die zu psychischen Belastungen führen können. Bisher fehlte es jedoch in der Berufskrankheiten-Verordnung an expliziten Aufzählungen von psychischen Erkrankungen.

Das Urteil des Bundessozialgerichts (Az.: B 2 U 11/20 R) hat nun klargestellt, dass eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) auch dann als “Wie-Berufskrankheit” anerkannt werden kann, wenn sie nicht in der Berufskrankheiten-Liste aufgeführt ist.

Im konkreten Fall hatte ein Rettungssanitäter bei der Unfallversicherung ‘Bund und Bahn’ sowie bei der Deutschen Rentenversicherung einen Entlassungsbericht vorgelegt, der ihm eine PTBS attestiert hatte. Dieser Bericht führte aus, dass der Sanitäter während seiner Tätigkeit im Rettungsdienst zahlreiche traumatisierende Ereignisse erlebt hatte. Gleichzeitig berichtete er über Personalknappheit und andere belastende Vorkommnisse in der Rettungswache. Die PTBS-Symptome waren insbesondere nach Amokläufen und Suiziden von zwei jungen Mädchen aufgetreten, bei denen der Sanitäter als Helfer im Einsatz war.

Die gesetzliche Unfallversicherung lehnte jedoch die Anerkennung der PTBS als Berufskrankheit ab, und auch die Vorinstanzen schlossen sich dieser Auffassung an. Das Bundessozialgericht hingegen kam zu dem Schluss, dass eine PTBS bei Rettungssanitätern als “Wie-Berufskrankheit” anerkannt werden kann. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass Rettungssanitäter während ihrer Arbeit einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, traumatische Ereignisse zu erleben. Dieser Zusammenhang sei nach international anerkannten Diagnosesystemen, insbesondere dem Statistischen Manual Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (DSM), und den Leitlinien wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften nachweisbar.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass das Bundessozialgericht nicht darüber entschieden hat, ob die PTBS des Rettungssanitäters tatsächlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Für eine definitive Klärung dieses Aspekts wurde der Fall an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Dieses bahnbrechende Urteil des Bundessozialgerichts könnte weitreichende Auswirkungen auf die Anerkennung von psychischen Erkrankungen als Berufskrankheiten haben und zugleich den Schutz und die Unterstützung von Berufsgruppen erhöhen, die in ihrem Arbeitsalltag besonders psychischen Belastungen ausgesetzt sind.

Hunde leben in 21 Prozent der deutschen Haushalte (2021). Insgesamt gibt es etwa 10,3 Millionen Hunde in Deutschland – und sie verursachen mitunter Schäden, die für ihre Besitzer teuer werden können. Die folgenden sechs Urteile zeigen, wo Gefahren für Hundefreunde lauern und wo die Grenzen der Haftung liegen.

Typische Tiergefahr verwirklicht

Auf einem Fest ließ ein Hundehalter sein Tier frei herumlaufen. Als sich eine Frau zu dem Hund hinabbeugte, biss er zu. Der Hundehalter wollte deshalb eine Mitschuld geltend machen. Das sahen die Richter am OLG Oldenburg anders. Nach Treu und Glauben dürfe ein Gast bei einem freilaufenden Haustier davon ausgehen, dass Herunterbeugen keinen Beissreflex auslöst oder zum Angriff reizt. Die Frau habe sich nicht in eine eine Situation drohender Eigengefährdung begeben. Der Hundehalter musste nach Hinweisbeschluss vollen Schadenersatz leisten. Mit dem Hundebiss verwirklichte sich eine typische Tiergefahr, so die Richter (Az.: 9 U 48/17).

Berücksichtigt das Jobcenter Kosten für eine Hundehaftpflichtversicherung?

Mit dieser Frage befasste sich das Bundessozialgericht (B 14 AS 10/16 R) und entschied, dass Beiträge, die für eine gesetzlich vorgeschriebene Hunde-Haftpflichtversicherung gezahlt werden, nicht angerechnet werden, um so ein höheres ergänzendes steuerfinanziertes Arbeitslosengeld II zu erhalten. Nur Versicherungen, die einen spezifischen Bezug zu den Zielen des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch aufweisen, können angerechnet werden. Zum Beispiel Gebäudebrandversicherung oder Kfz-Versicherung, um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu erleichtern. Anders verhält es sich, wenn ein Hund aus gesundheitlichen Gründen gehalten wird (z.B. Blindenführhund).

Hund muss Ruhezeiten einhalten

Eine Frau fühlte sich durch das Bellen ihres Nachbarhundes gestört und legte Protokolle, Videos und Lärmmessungen vor. Das OLG Brandenburg (Az.: 5 U 152/05) gab der Klägerin teilweise recht und verlangte, dass der Hundebesitzer sicherstellt, dass wochentags und an Sonn- und Feiertagen in der Zeit von 22:00 Uhr bis 7:00 Uhr keine wesentlichen lautstarken Lärmbelästigungen in Form von Bellattacken ausgehen, die das Eigentum der Klägerin an ihrem Grundstück, ihren Besitz und ihre Gesundheit beeinträchtigen. Bei Zuwiderhandlung droht ein Ordnungsgeld von bis zu 5.000 Euro.

Leine als Gefahrerhöhung

Ein Hundehalter ließ seinen Hund auf einem asphaltierten Weg frei herumlaufen ohne die Leine selbst festzuhalten. Das Tier zog die Leine hinter sich her. Als sich eine Radfahrerin näherte, reagierte das Tier nicht auf Pfiffe seines Herrchens. Die Frau stürzte. Das LG Tübingen erkannte eine Gefahrerhöhung im Hinterherschleifen der Leine. Der Hundehalter haftet allein für die Unfallfolgen, so die Richter (Az.: 5 O 218/14).

Dürfen Hunde ins Taxi?

Die Beförderungspflicht umfasst auch die Mitnahme von Hunden im Taxi. Allerdings dürfen Taxifahrer die Mitnahme von Hunden verweigern, wenn sie allergisch reagieren oder Angst vor dem Tier haben (OLG Hamm, Az.: 3 Ss OWi 61/92). In solchen Fällen ist der Taxifahrer allerdings verpflichtet, einen passenden Wagen bei der Zentrale anzufordern.

16.000 Euro für ungewollten Deckakt?

Ungewollte Deckakte bei Tieren sind gar nicht so selten. Die Schadenersatzforderung im vorliegenden Fall aber schon. Eine Hobbyzüchterin wollte nämlich 16.000 Euro nachdem ihre Rassehündin vom Nachbarhund gedeckt wurde. Weil die Züchterin keinen Mischlingswelpen wollte, ließ sie die Gebärmutter der Hündin entfernen. Die Schadenersatzforderung leitete sie vor allem aus entgangenen Gewinnen mit der beabsichtigten Zucht ab. Vor dem LG Coburg einigten sich die Streitparteien allerdings auf eine Summe von 500 Euro (Az.: 11 O 185/13).

Auch dem Widerrufsjoker bei Lebensversicherungen sind Grenzen gesetzt, wie erneut ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) zeigt. Im vorliegenden Fall versuchte eine Frau, nach vielen Jahren ihren Vertrag rückabwickeln zu lassen, obwohl sich in der Widerrufs-Belehrung lediglich ein Formulierungsfehler fand. Sämtliche Instanzen schmetterten ihren Vorstoß ab.

Kundinnen und Kunden können ihre Lebensversicherung rückabwickeln lassen, wenn sie ihren Vertrag zwischen 1994 und 2007 nach dem sogenannten Policenmodell abgeschlossen haben: so viel ist bekannt. Das lohnt sich, weil im Gegensatz zu einer Kündigung des Vertrages die eingezahlten Beiträge angemessen verzinst werden müssen und der Lebensversicherer die Kosten für Vertrieb und Verwaltung nicht anrechnen darf. Bedingung hierfür ist jedoch, dass die Verbraucher nachweisen, ungenügend über ihr Widerspruchsrecht aufgeklärt worden zu sein. Denn beim Policenmodell bekamen sie die Vertragsbedingungen erst zugesendet, nachdem sie den Vertrag bereits unterschrieben hatten – das verstößt gegen EU-Recht.

Ein frisches Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) zeigt aber erneut, dass auch dem Widerspruchsrecht Grenzen gesetzt sind. Demnach verstieß die klagende Kundin gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB, weil sie allein aufgrund eines geringfügigen Belehrungsfehlers in der Widerrufs-Belehrung den Vertrag nach vielen Jahren rückabwickeln wollte. Dieser Belehrungsfehler habe ihr nicht die Möglichkeit genommen, das Widerspruchsrecht unter denselben Bedingungen wie bei einer zutreffenden Belehrung in Anspruch zu nehmen, so hob die Karlsruher Instanz hervor (Urteil vom 15. Februar 2023, IV ZR 353/21).

Im verhandelten Rechtsstreit ging es um zwei Lebens- und Rentenversicherungs-Policen, die die Klägerin im Jahr 2002 abgeschlossen hatte. Diese beiden Verträge kündigte sie zunächst in den Jahren 2016 bzw. 2017, weil sie mit den Erträgen unzufrieden war. Ein Jahr später wollte sie dann vom Widerrufsjoker Gebrauch machen und die Verträge rückabwickeln lassen. Dabei berief sie sich darauf, dass die Belehrung zum Widerspruchsrecht fehlerhaft gewesen sei. Zwar hatte sie eine solche Belehrung ausgehändigt bekommen. Doch tatsächlich fand sich ein Fehler darin: statt des Wortes “Textform” hatte der Versicherer formuliert, dass der Widerspruch in einer “Schriftform” erfolgen muss – also mit einer Unterschrift.

Rein rechtlich ist es aber ausreichend, dass der Kunde bzw. die Kundin eine Erklärung ohne Unterschrift einreicht, um vom Widerspruch Gebrauch zu machen. Dennoch sahen die urteilenden Richter diesen Fehler des Versicherers nicht als ausreichend an, damit der Widerrufsjoker sticht. Der Belehrungsfehler sei so geringfügig, dass Versicherungsnehmern dadurch nicht die Möglichkeit genommen werde, innerhalb der vorgegebenen Frist vom Widerspruchsrecht Gebrauch zu machen.

“Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Ausübung des Widerspruchsrechts gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt, wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Denn dies stellt eine nur geringfügige, im Ergebnis folgenlose Verletzung der Pflicht des Versicherers zur ordnungsgemäßen Belehrung dar”, berichtet der BGH.

Die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Widerspruchsrechts in diesem Fall stehe auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, sodass eine Vorlage an diesen nicht veranlasst war, hob der BGH weiter hervor. “Auch im Fall einer unterstellten Unionswidrigkeit des Policenmodells ist es dem – im Wesentlichen – ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer, der sich aus den genannten Gründen nicht auf die geringfügige Fehlerhaftigkeit der Belehrung berufen kann, nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten”, heißt es hierzu vom BGH.

Das Urteil ist nicht das erste, in dem hervorgehoben wird, dass ein Fehler in der Widerspruchs-Belehrung nicht in jedem Fall zur Rückabwicklung des Vertrages berechtigt. Eine Kundin, die ihren Vertrag rückabwickeln wollte, blitzte zuvor bereits vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe ab: Der Versicherer hatte weitestgehend korrekt informiert, aber im Versicherungsschein die zuständige Aufsichtsbehörde sowie deren Adresse nicht angegeben (Beschluss vom 25.3.2021, 12 U 43/21).

Bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens soll das Pflegegeld mit einbezogen werden, so ein Insolvenzverwalter. Dieser Auffassung widersprachen allerdings die Richter am Bundesgerichtshof (BGH). Wie sie ihren Beschluss begründeten.

Der Insolvenzverwalter einer Schuldnerin wollte, dass zur Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens das Arbeitseinkommen mit dem Pflegegeld zusammengerechnet wird. Denn die Schuldnerin erhielt für die Versorgung ihres autistischen Sohnes, der bei ihr wohnt, ein solches Pflegegeld.

Die Vorinstanzen lehnten das Begehren des Insolvenzverwalters u.a. mit Verweis auf § 54 SGB I ab. Dort heißt es in Abs. 3 Nr. 3, dass Sozialleistungen, die zum Ausgleich körper- oder gesundheitsbedingten Mehrbedarfs bestimmt seien, unpfändbar sind.

Dieser Auffassung widerspricht der BGH in seinem Beschluss vom 20.10.2022 (IX ZB 12/22). Das von der Frau bezogene Pflegegeld stelle keine Sozialleistung dar, die den Pfändungsschutzvorschriften des § 54 SGB I unterliegt. Denn die Frau ist gar nicht pflegebedürftig, sondern übernimmt als Pflegeperson die Pflege eines Pflegebedürftigen. Das Pflegegeld steht nur dem Pflegebedürftigen zu, betonten die Richter. Im vorliegenden Fall wird das Pflegegeld an die Pflegeperson weitergeleitet (§ 37 SGB XI) und ist deshalb unpfändbar (§ 851 Abs. 1 ZPO, § 399 BGB).

Pflegegeld kein Entgelt für Pflegeperson

“Das Pflegegeld stellt seiner Konzeption nach kein Entgelt für die von der Pflegeperson erbrachten Pflegeleistungen dar”, schreiben die BGH-Richter in ihrem Beschluss. Zu den Zielsetzungen dieser Leistung gehört es, die Autonomie des Pflegebedürftigen zu stärken und einen Anreiz für die Aufnahme und Fortsetzung einer häuslichen Pflege zu schaffen.

Diese Ziele würden nicht erreicht, “wenn das Pflegegeld zwar beim Pflegebedürftigen unpfändbar bliebe, bei der Pflegeperson aber als nach den allgemeinen Vorschriften pfändbares Arbeitseinkommen behandelt würde”, führten die Richter aus.

Pflegegeld, das weitergeleitet wird, ist eine freiwillige Leistung des Pflegebedürftigen an die Pflegeperson. Ein Anspruch auf Weiterleitung besteht nicht. Der Pflegebedürftige könnte die Weiterleitung des Pflegegeldes beenden und das Geld anders einsetzen. Es bleibt Sache des Pflegebedürftigen, wie das Pflegegeld verwendet wird. Auch dieser Umstand stünde einer Pfändbarkeit des Pflegegeldes entgegen, so der BGH.

Wer bereits vor dem 01. Januar 2019 eine Erwerbsminderungsrente bezog, hat keinen Anspruch auf Neuberechnung. Das entschied das Bundessozialgericht.

Das Bundessozialgericht in Kassel entschied am gestrigen Donnerstag, dass Rentner, deren Erwerbsminderungsrente bereits vor dem 1. Januar 2019 begann, keinen Anspruch auf eine Neuberechnung ihrer Rente nach den inzwischen geltenden, deutlich günstigeren Regelungen haben. Bestandsrentner können demnach nicht verlangen, dass bei ihrer Rente Zurechnungszeiten in demselben Umfang berücksichtigt werden, wie das bei den ab 2018 und vor allem bei den ab 2019 neu bewilligten Renten geschieht.

In zwei Revisionsverfahren (Aktenzeichen B 5 R 29/21 R und B 5 R 31/21 R) forderten die Kläger – jeweils Bestandsrentner – eine Gleichbehandlung und deshalb eine Berücksichtigung der verlängerten Zurechnungszeiten auch bei ihren Renten. Die Vorinstanzen lehnten das ab – und nun bestätigte das Bundessozialgericht die Entscheidungen. So schrieben die Sozialrichter: “Der 5. Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass die Begrenzung der zum 1. Januar 2018 und 1. Januar 2019 eingeführten Leistungsverbesserungen auf die ab diesen Stichtagen neu hinzukommenden Erwerbsminderungsrentner dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes widerspricht.” Ein Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz (Gleichbehandlungsgrundsatz) sei nicht feststellbar, so das Bundessozialgericht. Die Richter führten aus, dass die vom Gesetzgeber angeführten Gründe für die Differenzierung zwischen Bestands- und Neurentnern sachlich nachvollziehbar und nicht willkürlich sind. Es würde einem Strukturprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechen, dass Leistungsverbesserungen ebenso wie Leistungskürzungen grundsätzlich nur für neu bewilligte Renten gelten. Zudem durfte der Gesetzgeber auch auf den erheblichen organisatorischen und finanziellen Mehraufwand bei sofortiger Einbeziehung der Bestandsrentner abstellen, so das Bundessozialgericht.

Ferner war zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mittlerweile für die Bestandsrentner einen Zuschlag zu ihrer Erwerbsminderungsrente und ebenso zu einer daran anschließenden Altersrente eingeführt hat, der ihnen ab dem 1. Juli 2024 zustehen wird, hieß es vom Bundessozialgericht.

Laut Sozialverbänden, die die Klagen unterstützten, sind 1,8 Millionen Menschen in Deutschland von dieser Entscheidung betroffen. Die Verbände kündigten an, die Gesetzgebung vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe überprüfen zu lassen.

Verlässt ein Schüler den Schulhof, um zu rauchen, steht er nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das geht aus einem Urteil des Bundessozialgerichts hervor.

Im Januar 2018 verließ ein damals volljähriger Gymnasiast in der Pause den Schulhof, um im angrenzenden Stadtpark Zigaretten zu rauchen. Bei dem stürmischen Wetter wurde der Schüler durch einen herabfallenden Ast verletzt und erlitt neben weiteren Verletzungen ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Auf dem Klageweg wollte der Schüler diesen Unfall als Arbeitsunfall von der Unfallkasse anerkannt bekommen.

Immerhin war es den Schülern erlaubt, das Schulgelände zu verlassen, um zu rauchen. Doch für die Bewertung, ob es sich um einen Arbeitsunfall handelte, spielte das keine Rolle. Der Aufenthalt im Park zum Zeitpunkt des Unfalles erfolgte außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Schule, so das Bundessozialgericht in Kassel (Aktenzeichen B 2 U 20/20 R).

Anders als das Verlassen der Schule zum Zwecke der Beschaffung von erforderlichen Nahrungsmitteln steht die Einnahme von Genussmitteln mit dem Schulbesuch in keinem sachlichen Zusammenhang, stellten die Richter heraus.